Change im Archiv – über ein Veränderungsprojekt des Deutschlandradios
Gibt es einen idealen Zeitpunkt für Veränderungsprozesse? Wahrscheinlich nicht. Wie die Abteilung Dokumentation und Archive beim Deutschlandradio diesen Weg gegangen ist, erzählen Abteilungsleiter Jörg Wehling und Dr. Gabriele Maier, die das Projekt seitens der ARD.ZDF medienakademie unterstützt hat.
Die Digitalisierung, der anhaltende Kostendruck und neue Formen der Mediennutzung wirbeln seit einiger Zeit die Aufgaben und Ausrichtungen ganzer Medienunternehmen durcheinander.
Auch die Abteilung Dokumentation und Archive im Deutschlandradio unter der Führung von Jörg Wehling spürte die Notwendigkeit zur strategischen Neuausrichtung. Die Verantwortlichen entschieden sich, die Transformation aktiv anzunehmen und zu gestalten und begannen deshalb im März 2018 mit dem Veränderungsprozess zur Neu-Ausrichtung und -Aufstellung der Abteilung.
Herr Wehling, worum geht es in Ihrem Projekt?
Jörg Wehling: Das Projekt dient dazu, die Abteilung den aktuellen Anforderungen anzupassen und uns fit zu machen für das, was da in Zukunft noch kommen wird. In unserem Bereich gibt es eine Vielzahl an Innovationen. Künstliche Intelligenz, Automatisierung, Cloud- und Miningtechnologien verändern die Rollen und Aufgaben in den Archiven gerade radikal. Dazu gibt es Einsparforderungen innerhalb des Hauses und auch die ARD Strukturreform sieht ja Veränderungen für die Archive vor.
Wir müssen also rasch neue rollenbezogene Kompetenzen aufbauen, um neue Verfahren und Aufgabenfelder bedienen zu können wie z.B. näher am Programm zu arbeiten. Das führt zu neuen Workflows – manche Aufgaben entfallen, andere werden automatisiert, neue kommen hinzu. Hier geht es nicht um Prozessoptimierung, sondern um eine radikale Transformation, deren Ergebnis sich weiter verändern wird. Unser Ziel ist es deshalb unsere Mitarbeitenden und Führungskräfte zu befähigen, sich dieser kontinuierlichen Selbsterneuerung gut vorbereitet stellen zu können.
Frau Dr. Maier, was waren die Herausforderungen in der Prozessbegleitung?
Dr. Gabriele Maier: Herr Wehling erwähnte ja gerade, wie disruptiv die angestrebten Veränderungen sind. Das ist eine Tatsache, die es für alle Beteiligten erst einmal zu betonen und zu verstehen gilt. Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass dieser Prozess unumgänglich und weitreichend sein wird, gerade auch weil in der Abteilung bisher kaum Erfahrungen mit echten Change-Prozessen gemacht wurden.
Für etablierte Mitarbeitende mit langjähriger Unternehmenszugehörigkeit und einer großen Expertise für ihr bisheriges Tun ist es nicht unbedingt leicht, sich auf eine solche Transformation einzulassen, vor allem – und das aber ist ja sinnbildlich für die heutige VUCA-Welt – wenn zu Beginn des Prozesses das Ausmaß und die Auswirkungen der Veränderung unklar sind. Ein wichtiger Schritt war es deshalb, Veränderungsbereitschaft zu unterstützen und zu fördern und potenzielle Ängste und Widerstände möglichst zu minimieren, indem man ihnen konstruktiv begegnet.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Jörg Wehling: Wir haben zunächst den Fokus auf die Führungsebene und die abteilungsinternen Projektleitungen gelegt, da diese die Verantwortung für die erfolgreiche Steuerung von Veränderungen tragen.
Für die Führungsebene war die zentrale Aufgabe eine Vision zu entwickeln, wo die Reise für uns als Abteilung hingehen soll, um daraus eine Strategie ableiten und die notwendigen Strukturen und Prozesse aufsetzen zu können. Nur so, mit einem nachvollziehbaren Fahrplan, klaren Rollen und Verantwortlichkeiten, können Sie bei Ihren Mitarbeitenden um aktive Teilhabe und Akzeptanz werben. Mit Tuning-Treffen und Zwischen-Reviews fragten wir uns immer wieder, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind, was gut läuft, was weniger und wo wir nachjustieren müssen.
Zentral waren die zwei Großgruppen-Workshops mit allen Mitarbeitenden. Im Kick-off-Workshop traf sich z.B. erstmals die komplette Abteilung, um gemeinsam an Themen zu arbeiten. Man darf ja nicht vergessen, die Abteilung Dokumentation und Archive des Deutschlandradios sitzt an zwei Standorten, in Köln und in Berlin. Von dort arbeiten die Kolleginnen und Kollegen parallel an unseren Projekten Audiofingerprinting, Archivservice, Infozentrum, Tags4Pods und Audiomining. Der Austausch war bisher eher gering. Das wollten wir ändern und auch ein Zeichen dafür setzen, das die abteilungsinterne Zusammenarbeit für die zukünftigen Aufgaben immens wichtig wird.
Was hat das Team aus der Prozessbegleitung gelernt?
Jörg Wehling: Für das Führungsteam ist es ein enormer Gewinn zu wissen, dass in der Abteilung unter herausfordernden Bedingungen ein Change erfolgreich angestoßen werden konnte, ohne dass spezifische Vorerfahrung oder das Handwerkszeug für solche Situationen vorhanden waren.
Der Weg dorthin hat uns als Team gestärkt und wir konnten uns einiges an neuem Prozess- und Methoden-Know-how erarbeiten. Wir wissen jetzt aus der eigenen Praxis, wie hilfreich es ist, mit einer klaren Kommunikationsstrategie planvoll und reflektiert mit allen Beteiligten über die Ziele, Erwartungen und Herausforderung der Veränderung zu diskutieren – um Widerstände zu entkräften, aber auch um die Willigen zu stärken und sie z.B. als Projektverantwortliche eng in den Prozess mit einzubinden. In Hinblick auf dieses Know-how hat uns die externe Begleitung extrem vorangebracht.
Wir haben auch, wo und wann immer es sinnvoll und möglich war, Leitbilder und Führungswerte des Hauses und Instrumente der Personalentwicklung für unseren Prozess genutzt. Das hat ungemein geholfen. Umgekehrt sind wir jetzt in der schönen Position, unsere Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen weitegeben zu dürfen, damit sich dieses Wissen intern möglichst nachhaltig verbreitet.
Das klingt so, als hätten Sie und die Abteilung Ihre Ziele erreicht?
Dr. Gabriele Maier: Ich denke, wenn eine Leitung die Veränderung will und diese kontinuierlich einfordert, erklärt und klare Zeichen setzt, dann werden Erfolge sehr schnell sichtbar. In diesem Projekt ist es gelungen bei den Mitarbeitenden ein neues Bewusstsein und auch Stolz für den eigenen Verantwortungsbereich zu schaffen und zu zeigen, wie wirksam und wichtig in ihrer Situation projektorientiertes, rollen- und standortübergreifendes Denken und Handeln ist. Aber auch, dass diese Entwicklungen nicht bedeuten, dass vorher alles schlecht war. Das braucht unter Umständen Zeit, aber die Investition lohnt sich, wenn sie ihre Leute für neue Aufgaben gewinnen wollen.
Jörg Wehling: Wir haben per Mentimeterabfrage in den Workshops gesehen, dass die große Mehrheit der Mitarbeitenden Veränderung als Normalität begreift und auch dann mitziehen will, wenn sich diese Entwicklung, in den nächsten Jahren weiter beschleunigen wird. Das ist bei all den Hürden und Anstrengungen ein Erfolg, auf den die ganze Abteilung sehr stolz sein kann.
Vielen Dank für das Gespräch!
Autor: Sven Dütz
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