Führen in Krisenzeiten – Lösungsenergie entsteht über Fragen
Krisenmanagement in Zeiten von Corona stellt Führungskräfte vor eine ganz neue Art von Herausforderungen: Sie müssen mitunter ungewohnte Prozesse sehr stringent steuern. Worauf es dabei ankommt, erklärt unsere Trainerin und Expertin Dr. Carola Gründler – Teil 5.
Dr. Carola Gründler arbeitet seit über 20 Jahren als Coach, Trainerin und systemische Organisationsberaterin. Für die ARD.ZDF medienakademie trainiert Sie u.a. Führungskräfte, die ihr Team in die Selbstorganisation führen.
An dieser Stelle gibt sie regelmäßig Tipps zu aktuellen Führungsthemen – lesen Sie hier:
- Teil 1: Prozess-Schärfung statt operativer Hektik
- Teil 2: Die eigene Haltung im Kontext von Ungewissheit
- Teil 3: Mit-Verantwortung für die erlebte Unsicherheit stärken
- Teil 4: Mit Sorgen und Ängsten umgehen
Teil 5: Lösungsenergie entsteht über Fragen
Eine Führungskraft schreibt „Ich finde es zunehmend anstrengend, dass alle immer von mir eine Antwort darauf wollen, wie es nun weitergeht. Ich werde innerlich langsam aggressiv und denke „Das habe ich jetzt schon 100mal gesagt: ICH weiß es doch auch nicht!“ Und trotzdem versuche ich, weiterhin geduldig zu sein und mir Zeit zum Zuhören zu nehmen. Aber dann denke ich wieder „Wer sagt MIR denn, wie es weitergeht!? Wer hört MIR denn zu!? Sieht hier eigentlich irgendjemand, wieviel ICH gerade arbeite!?“
Ich starte heute mit diesem Zitat aus der Mail einer Kundin, weil es ein Thema aufgreift, dass schon in den beiden letzten Praxistipps berührt war: Auf die eine oder andere Weise dürfte sich fast jeder von uns in diesen Tagen immer wieder einmal als Opfer dieser Krisensituation fühlen.
Wenn Mitarbeiter*innen auf Führungskräfte mit der Beschreibung eines Problems zugehen – und das passiert in diesen Tagen vermutlich öfter als früher – dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Führungskräfte sich in der Verantwortung sehen, Lösungen zu finden.
Eine amerikanische Autorin hat dafür vor vielen Jahren die Metapher des „Handwerkermützchens“ benutzt, das man sich dann unbewusst ganz schnell aufsetzt. Und dann rutscht man in die schon erwähnte unbewusste Arbeitsteilung.
Manchmal führen solche Situationen dazu, dass die Führungskraft einen Vorschlag macht, der Mitarbeiter sagt „passt nicht“ und dann strengt sich die Führungskraft noch mehr an 🙂.
Aber selbst wenn die Führungskraft einen stimmigen Lösungsansatz vorschlägt: ungünstig ist, dass der Mitarbeiter auf diesem Wege nicht in seine eigene Lösungsenergie kommt.
Ein genereller Ansatz zum Umgang mit Problembeschreibungen
Lösungsenergie wird bei Mitarbeiter*innen immer dann gestärkt, wenn Führungskräfte über Fragen führen. Wenn ein Mitarbeiter ein Problem benennt, dann haben sich zwei zentrale Fragen bewährt:
- Was konkret ist in diesem Zusammenhang schwierig für Dich?
- Und was konkret wäre da Dein Anliegen?
Zwei Aspekte sind bei diesem Vorgehen wichtig: Zum einen die Konkretisierung, die das, was als problematisch erlebt wird, oft handelbarer macht. Zum anderen die Frage nach dem Anliegen. Denn diese Frage zieht den anderen aus Problem- in Zielorientierung. Und dann ist es nur ein Schritt weiter zu der Frage „Und was wäre dafür ein guter Lösungsansatz?“ Der kommt dann aber vom Mitarbeiter selbst und nicht mehr von der Führungskraft.
Ein konkreter Ansatz zum Umgang mit Existenzängsten
Eine Situation, die bei manchen der Führungskräfte, mit denen ich in diesen Tagen spreche, leider gerade zunehmend vorkommt: Mitarbeiter*innen haben die Sorge, ihre Arbeit zu verlieren. Damit verbunden sind Existenzängste in einem Ausmaß, wie es kaum einer von uns schon einmal erlebt hat. Wie könnte ich in solchen Gesprächen gut reagieren? Da scheint mir vor dem Fragen noch ein anderer Schritt wichtig:
- Wenn mir jemand seine Existenzängste beschreibt, geht es erst einmal nur darum, dass ich zuhöre. Dass ich mich – bildlich gesprochen – zunächst einmal „neben den anderen stelle“ und die Welt aus seiner bzw. ihrer Perspektive sehe.
- Ich kann diese Perspektive als Ausdruck einer zutiefst menschlichen Not verstehen. Und die Zeit dafür sollte ich mir nehmen. Das heißt nicht, dass ich mich mit dieser Perspektive identifizieren muss. Denn dann wäre auch ich in einer Opfer-Haltung. Das klingt hier gerade sehr theoretisch. Ich halte die Unterscheidung „verstehen, ohne sich damit zu identifizieren“ jedoch für sehr zentral, um einerseits den Kontakt zu meinem Gesprächspartner zu halten und andererseits selbst handlungsfähig zu bleiben.
- Als Coach habe ich die Erfahrung gemacht, dass es in solchen Gesprächen als nächstes wichtig ist, erst einmal zu erfragen, ob der/die andere gerade nur möchte, dass ich zuhöre. Oder ob es gut wäre, gemeinsam einen ersten Schritt in Richtung Bewältigung anzudenken. Nur, wenn mein Gesprächspartner die zweite Variante gewählt wird, beginne ich, Fragen zu stellen.
- Es ist in existenzgefährdenden Situationen zweifelsohne hilfreich, möglichst pragmatisch nach Lösungsansätzen zu schauen. Das impliziert, Fakten von Vermutungen zu unterscheiden, Fixkosten zu konkretisieren und verschiedene Szenarien durchzuspielen. Als Führungskraft kann ich meinem Mitarbeiter empfehlen, dies gemeinsam mit einem guten Freund oder einer befreundeten Kollegin zu tun.
- Gleichzeitig kann es hilfreich sein, in einem solchen Gespräch den betroffenen Mitarbeiter darin zu unterstützen, ein Stück mehr zurück in die eigene Kraft zu kommen. Das geht auch hier wieder am besten mit Fragen. Ich könnte beispielsweise sagen: „Wenn Du mir erlaubst zu fragen: Ich könnte mir vorstellen, dass Du in Deinem Leben schon einmal in einer besonders schwierigen Situation gewesen bist – bestimmt anders als jetzt, vielleicht nicht so existenziell, aber eben doch schwierig. Wenn es eine solche Situation in Deiner Vergangenheit gegeben hat: Was hat Dir damals vor allem geholfen, da durchzukommen?“ Und vielleicht etwas später in diesem Gespräch: „Und was von dieser Erfahrung könntest Du in der jetzigen Situation nutzen?“
Vielleicht ist Ihr Mitarbeiter bereit, darauf zu antworten. Vielleicht nimmt er die Fragen einfach mit. In jedem Falle haben diese Fragen das Potenzial, den anderen ein Stück mehr mit seiner eigenen Kraft und Lösungsenergie in Berührung zu bringen.
Autorin: Dr. Carola Gründler
Corona als Change?
Führen in Krisenzeiten – Mit Sorgen und Ängsten umgehen