Können wir glauben, was wir denken?
Wir nehmen die Welt nur mittelbar über unsere Sinne wahr. Unser Gehirn wählt Eindrücke aus und ordnet sie ein, ohne dass wir darauf direkt Einfluss haben. So entsteht unser Erleben der Innen- wie Außenwelt. Warum es hilfreich ist, sich dessen bewusst zu sein, erklärt unser Trainer Peter Kujath.
Herr Kujath, Sie beschäftigen sich mit Wahrnehmungsillusionen. Was könnte das im beruflichen Alltag sein?
Peter Kujath: Wir sind gewohnt in schwarz-weiß Kategorien zu denken. Das hat uns im Rahmen der Evolution ermöglicht, schnell zu reagieren und uns so einen Überlebensvorteil gesichert. Aber dieses Denken hat sich oft genug als Illusion herausgestellt. Ob Geschlechterrollen oder Wohlbefinden – es ist meist viel hilfreicher Zuordnungen zeitlich befristet auf einem Kontinuum zu denken, also auf einer Skala, die viele Facetten zulässt. Auf diese Weise kann ich Klischees und falsche Rollenbilder vermeiden. Gerade im Hinblick auf mein Führungsverhalten ist es wichtig, mich von diesem schwarz-weiß Denken zu lösen. So kann ich verhindern, dass ich Mitarbeitende in Schubladen stecke, aus denen sie nicht mehr hinauskommen.
Ein gutes Beispiel dafür ist der Halo-Effekt. Ich bin geneigt, einem Menschen auf Grund von einer positiven Eigenschaft weitere positive Attribute zuzusprechen. In diesem Kreislauf angekommen verstärke ich mein Urteil automatisch. Leider funktioniert das auch mit negativem Vorzeichen. Ich sollte also versuchen, jedem Kollegen, jeder Kollegin in einer veränderten Situation wieder aufs Neue zu begegnen.
Warum ist es so schwer zu erkennen, dass unsere Sicht auf die Welt subjektiv verzerrt ist?
Peter Kujath: Das liegt auch daran, dass wir am liebsten in Kausalitäten denken, um den Dingen, die um uns herum geschehen, einen Sinn geben zu können. Oft ist es aber der Zufall, der das Geschehen bestimmt, auch wenn wir lieber unsere Erfahrung zum Maßstab nehmen, um das Gefühl für die Konsistenz der Welt aufrecht zu erhalten. Ich bin allzu schnell bereit, meinen Erfolg auf meine Fähigkeit zurückzuführen, als ihn dem Zufall zuzuschreiben. Ich will damit nicht sagen, dass alles Zufall ist, aber manchmal hilft die Zuschreibung des Erfolgs auf meine Fähigkeiten meinem Selbstwertgefühl, obwohl beispielsweise die Erkrankung des Kollegen eigentlich maßgeblich war.
Die Kognitionspsychologie beschäftigt sich mit einer Reihe von Wahrnehmungsverzerrungen wie dem fundamentalen oder dem selbstwertdienlichen Attributionsfehler. Das bedeutet: wenn sich jemand aggressiv gegenüber einem Kollegen verhält, gehe ich schnell davon aus, dass er einen aufbrausenden Charakter hat. Dabei ist oft die Situation der entscheidende Faktor.
Wenn unsere Denk- und Entscheidungsprozesse fehleranfällig sind, wann können wir unserem ersten Eindruck vertrauen und wann sollten wir genauer hinsehen?
Peter Kujath: Ich halte den „ersten Eindruck“ für wichtig. Er hilft uns, eine neue Situation schnell einzuschätzen. Ich sollte aber bereit sein, mein weiteres Handeln immer wieder zu hinterfragen und die Einschätzung einer Person nicht nur davon abhängig machen. Es gibt Fälle in der Arbeitswelt, in denen sofort entschieden werden muss. Aber allzu oft setzen wir uns selbst unter Druck und verlangen eine sofortige Reaktion, obwohl es besser wäre, die Mail noch ein paar Stunden im Postausgang liegen zu lassen oder sogar eine Nacht darüber zu schlafen.
Wie gelingt es uns denn der zweite Blick auf die Dinge?
Peter Kujath: Das mag im ersten Moment etwas irritierend klingen, aber ich glaube, wir sollten für den zweiten Blick auch mal die abgeklärte Brille abnehmen und zulassen, dass wir und andere nicht immer rational handeln, auch wenn wir zur Rationalität fähig sind. Dieses „Eingeständnis“ erleichtert es, sich die eigenen Illusionen bewusst zu machen. Wenn wir das zulassen, können wir leichter die eigenen Entscheidungen auf mögliche Verzerrungen hin abklopfen und unser Handeln in Frage stellen. Denn der zweite Blick kann einen AHA-Effekt mit sich bringen, der einen Konflikt überraschend löst oder der mir meine Rolle und Position in der Abteilung auf einmal klar vor Augen führt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Peter Kujath hat im Bayerischen Rundfunk als Autor, Moderator, Redakteur, Abteilungsleiter und Korrespondent gearbeitet. Während einer Auszeit studierte er Psychologie und berät seitdem neben seiner Tätigkeit beim BR Führungskräfte in schwierigen Situationen sowie in Veränderungsprozessen.
Bei inhaltlichen Fragen zu seinem Kurs: Wahrnehmungsillusionen und bereichernde Perspektivwechsel berät Sie gern Bettina Winter: b.winter@ard-zdf-medienakademie.de.
Autor: Sven Dütz
Wie funktioniert Mastodon und sollten Medienhäuser es nutzen?
„Es gibt keine Veränderung ohne Widerstand“
Wahrnehmungsillusionen und bereichernde Perspektivwechsel
„Verändere die Sicht auf die Dinge und die Dinge verändern sich“ – wer hat das nicht schon einmal erlebt, was der amerikanische Psychologe Wayne Dyer so treffend formuliert hat. Oft genug spielt uns unsere Wahrnehmung einen Streich und gaukelt uns etwas vor, das wir als „Wahrheit“ erkennen, aber ...
SEMINARINFO