Anke Nennstiel

Perfektionismus begegnen – die Kunst unperfekt zu sein

Oft haben wir in unserem beruflichen und privaten Leben überhöhte Ansprüche an uns selbst. Höchstleistung, immer! Doch was treibt uns so an, und wann ist es zu viel? Unsere Trainerin Anke Nennstiel über das Erkennen und Verstehen der eigenen Antreiber und was uns hilft mit Druck und Zwängen angemessener umzugehen.

Wie viel Anspruch im Job ist angemessen und wann sollten Mitarbeiter*innen ihren Perfektionismus hinterfragen?

Anke Nennstiel: Perfektionisten machen häufig alles 150 %. Der Spagat zwischen Beruf und Familie hat schon so manche Mama oder Papa an den Rand der Überforderung getrieben – einschließlich mir selbst. Niemand kann langfristig das perfekte Familienleben und die perfekte Karriereleiter besteigen. Irgendwo müssen wir Kompromisse machen. Dabei ist eine Grundregel erst mal ganz wichtig: Anerkennung, für das, was man da leistet. Und zwar nicht durch Außen eingefordert oder erwartet, sondern durch uns selbst. Diese Würdigung hilft, uns vom Lob der Anderen zu emanzipieren. Und langfristig unsere Denkfallen, alles perfekt machen zu wollen, zu würdigen. Ganz wichtig dabei: Eigenlob laut aussprechen. Am besten täglich, um ein gutes Gefühl langfristig aufzubauen.

Was können die Ursachen für das ständige Streben nach Perfektion sein?

Anke Nennstiel: Der Motivator der dahinter steckt, ist häufig die Angst – Angst, Schlimmes zu verhindern oder sogar sichtbar werden zu lassen. Darum strengen wir uns an, um das unbewusst zu verhindern. Wer immer große Anstrengungen lebt, der lebt oft unbewusst eine Untugend: ‚Nur wer etwas leistet, ist gut genug‘, ‚Ohne Fleiß keinen Preis‘, um nur einige Glaubenssätze, die dahinterstecken, zu nennen. Haben wir diese erst einmal verinnerlicht, wird es sehr schwer, sie wieder loszuwerden. Die gute Nachricht: Man kann diesen Irrglauben wieder lösen.

Welche Strategien können helfen – wo setzen Sie im Training an gegen diesen Druck?

Anke Nennstiel: Werbung und Medien suggerieren, dass wir glücklicher, zufriedener und erfolgreicher sind, wenn wir perfekt sind. Es ist hilfreich zu erkennen, wie sehr uns das beeinflusst. Es ist wichtig, sich selbst zu fragen, ob wir schon zwanghaft sind und uns mehr Zeit mit Listen, Regeln, Ordnung, Organisation und Planung beschäftigen oder einfach mal den Mut haben, die Lösung von Aufgaben zu vertagen. Der Mut zum Scheitern ist quasi der Schlüssel für langfristige Entspanntheit.

Sicherlich helfen Entspannungsmethoden unterstützend auch, aber die Einsicht, dass 70 % der Leistung uns auch weiterbringt, kann beflügeln. Wir wissen, dass das dauernde Streben nach Perfektionismus krankmacht: Ob Burnout, Sucht, Essstörungen oder andere Verhaltensauffälligkeiten – wir sollten uns auf uns besinnen und uns nach Gründen hinter unserem Verhalten fragen. Dazu gibt es viele Hilfsangebote der Städte und Gemeinden, karitative Einrichtungen mit exzellenten Mitarbeitern, spezialisierte Ärzte und ausgebildete Therapeuten.

Es gibt keine Patentrezepte, aber Wege raus aus dem Perfektionismus-Wahn – hin zur Selbstannahme und Selbstakzeptanz. Wo steht denn auch geschrieben, dass wir keine Fehler machen dürfen? Nirgends!

Vielen Dank für das Gespräch!

Mehr zu diesem Thema finden Sie im „Wendepunkt Coachcast“ der Trainerin, den Sie zusammen mit der NRW Radio Moderatorin Insa Löll erfolgreich betreibt: Coachcast - Folge 32 (Soundcloud).

Wer die eigenen Perfektionismus-Antreiber identifizieren und neu inszenieren möchte, findet hier Anke Nennstiels Seminar Die Kunst unperfekt zu sein oder die Rückkehr ins Angemessene.

Bei inhaltlichen Fragen berät Sie gern Bettina Winter: b.winter@ard-zdf-medienakademie.de.

Autor: Sven Dütz

Bettina Winter
Fachgebietsleitung Fachliche Kompetenzen // Entwicklung und Persönlichkeit
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