Vergaberecht – souverän durch den Paragrafendschungel
Vergabeverfahren für öffentliche Aufträge fehlerfrei durchzuführen ist eine Herausforderung. Warum das so ist, was Beteiligte wissen müssen, und wie Ausschreibungen „geheilt“ werden können, erklärt unsere Trainerin Rechtsanwältin Prof. Dr. Angela Dageförde im Interview.
Vergaberecht gilt als komplex und schwer verständlich. Was sind typische Stolpersteine bei der Ausschreibung von Projekten?
Angela Dageförde: Für den Rechtsanwender, also den Mitarbeiter eines öffentlichen Auftraggebers, der Beschaffungsmaßnahmen durchführt, ist schwer zu durchschauen, welche vergaberechtlichen Regeln in welchem Fall gelten, weil das Rechtsgebiet sehr unübersichtlich ist. Die vergaberechtlichen Regeln sind in unterschiedlichen Regelwerken enthalten: Gesetze, Verordnungen, Vergabeordnungen, Erlasse und Verwaltungsanweisungen – auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene.
Die Arbeit der öffentlichen Einkäufer wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die vergaberechtlichen Regeln durch die Vergabenachprüfungsinstanzen – den Gerichten und Vergabekammern – in einer Vielzahl von Entscheidungen konkretisiert und ausgelegt werden. Es ist daher schwierig, selbst bei den wesentlichsten Fragen immer auf dem neuesten Stand zu bleiben.
Warum und für wen ist es wichtig in Sachen Vergaberecht fit zu sein?
Angela Dageförde: Das ist ein breiter Kreis und umfasst alle Mitarbeiter*innen von Fachabteilungen, des Einkaufs bzw. zentraler Vergabestellen, der Rechnungsprüfung sowie Führungskräfte, die für eine öffentliche Hand an Ausschreibungsprozessen beteiligt sind. Es betrifft Behörden von Bund, Länder und Kommunen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder auch den Flughafenbetreiber, das kommunale Stadtwerk oder die kommunale Wohnungsbaugesellschaft.
Wichtig ist es, weil vergaberechtliche Fehler wie eine unzureichende Leistungsbeschreibung, falsche oder unverhältnismäßige Eignungs- und Zuschlagskriterien oder ein fehlerhaftes Vorgehen bei der Prüfung und Wertung von Angeboten gravierende Folgen haben können. Rechtsstreitigkeiten mit sich benachteiligt fühlenden Bietern führen zu zeitlichen Verzögerungen im Beschaffungsprozess, können aber auch finanzielle Folgen wie Schadensersatzansprüche oder den Verlust von Fördergeldern haben. Das kann abschrecken. In meinen Kursen möchte ich Rechtssicherheit vermitteln und praxisnah zeigen, dass Vergaberecht zwar komplex aber sicher kein „Hexenwerk“ ist.
Gibt es denn Möglichkeiten in Vergabeprozesse korrigierend einzugreifen?
Angela Dageförde: Die ausschreibende Stelle hat grundsätzlich die Möglichkeit, Fehler selbst zu korrigieren. Sie kann beispielsweise, wenn sie einen Fehler erkannt hat, den Beschaffungsprozess – das Vergabeverfahren – zurückversetzen und ab dem Zeitpunkt, zu dem der Fehler passiert ist, wiederholen. Wenn Bewerber oder Bieter sich durch ein fehlerhaftes Vorgehen benachteiligt fühlen, haben sie die Obliegenheit, dies gegenüber der ausschreibenden Stelle anzuzeigen – das nennt man Rüge –, um so die Möglichkeit zur Korrektur zu geben. Diese Rüge muss erfolgen, bevor der Bewerber oder Bieter zu einem Rechtsschutzinstrument z. B. ein Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer greift. Auch dann kann eine ausschreibende Stelle im Verfahren nachbessern und so ein gerichtliches Verfahren vermeiden.
Das Recht zum korrigierenden Eingriff ist allerdings nicht grenzenlos. Wenn ein Verfahren unter Beachtung der – im Vergaberecht essenziellen – Prinzipien des fairen (Geheim-)Wettbewerbs, der Gleichbehandlung aller Bieter und der Transparenz nicht zu Ende geführt werden kann, steht eine Aufhebung und anschließende Wiederholung mit geänderten Bedingungen des Verfahrens im Raum, über die die ausschreibende Stelle nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat.
Welche aktuellen Entwicklungen im Vergaberecht sollten Beteiligte kennen?
Angela Dageförde: Für die Rechtsanwender ist zurzeit besonders die sogenannte eVergabe wichtig. Seit einigen Jahren müssen Vergabeverfahren elektronisch abgewickelt werden; die Durchführung eines Vergabeverfahrens mit konventionellen Mitteln – z. B. postalische Einreichung von Angeboten – ist nur noch in wenigen Bereichen zulässig. Durch diese Modernisierung des Beschaffungsprozesses entstehen ganz neue Fragen, wie z. B. der korrekte Umgang mit einem Angebot, das deshalb verspätet eingegangen ist, weil die vom Auftraggeber verwendete Ausschreibungsplattform aus technischen Gründen zum Ablauf der Angebotsfrist nicht zugänglich war. Die Antworten, die Fachwelt und Rechtsprechung auf diese Fragen geben, sollten beim öffentlichen Einkäufer bekannt sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Angela Dageförde ist seit 2001 als Rechtsanwältin in Hannover tätig. Im Jahr 2012 gründete sie ihre eigene Kanzlei. Als Fachanwältin für Vergaberecht begleitet und vertritt Frau Dageförde öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bundesweit in Ausschreibungen sowie in Nachprüfungsverfahren vor Vergabekammern und OLG-Vergabesenaten. Seit 2020 ist sie Honorarprofessorin für Vergaberecht der Leibniz Universität Hannover.
Bei Fragen zum erweiterten Seminarangebot der ARD.ZDF medienakademie im Themenbereich Vergaberecht berät Sie gern Bettina Winter: b.winter@ard-zdf-medienakademie.de.
Autor: Sven Dütz
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